Mittwoch, 4. August 2010

Living in Utopia - Teil I

Reporter: Guten Tag, lieber Leser, schön dass Sie mich auf meiner Tour heute durch Utopia begleiten. Ich will mir selbst einen Überblick über die hier verwirklichten Konzepte machen und bin für jeden interessierten Mitstreiter dankbar.

Unser erster Termin führt uns zu Herrn Schulte im 32. Stock des Hochhauses 24A. Sehr geehrter Herr Schulte, die allererste Frage: Was und wie arbeiten Sie?

Schulte: Nun ich habe einen ganz normalen "Bürojob", so wie ein Großteil meiner Mitmenschen - nur - eigentlich arbeite ich gar nicht im Büro. Zumindest nicht im klassischen Sinne. Die Mitarbeiter meiner Firma arbeiten hier in Utopia alle von Zuhause aus. Schließlich ist es egal, von wo aus ich Kundengespräche am Telefon führe oder an welchem Computer ich meine Unterlagen bearbeite.

Reporter: Doch ist man manchmal nicht auch auf seine Kollegen angewiesen?

Schulte: Schon, aber dafür stehen uns einerseits Video-Chats zur Verfügung, andererseits können wir uns für größere Besprechungen mit Hilfe von VR-Headsets [VR = virtual reality] in virtuellen Konferenzräumen treffen.

Natürlich ist das Gefühl ein wenig anders als "echte" Begegnungen jedoch gewöhnt man sich ziemlich schnell daran.

Außerdem nutzen wir ein neues Textverarbeitungssystem, welches es uns erlaubt bei gemeinsamen Projekten in einem einzigen Dokument gleichzeitig zu arbeiten, ohne dass dabei ein großes Durcheinander entsteht (z.B. Google Docs).

Reporter: Ja, aber was ist mit Akten, oder Briefen, die z.B. von Ihrem Chef oder anderen Personen unterschrieben werden müssen?

Schulte: Ja das war anfangs ein Problem. Wir haben es auf zwei Arten gelöst, einerseits nutzen wir so oft wie möglich E-Signaturen, andererseits besitzt Utopia ein gut ausgebautes Rohrpost-System, mit dem man bis zu 28 kg schwere Dokumente, Waren oder Werkstücke mit einer Länge von 50 cm und einem Durchmesser von bis zu 30 cm zu befördern kann.

Das reicht für die meisten Dokumente und noch vieles mehr.

Reporter: Und wieder Energie gespart!

Schulte: Ja genau, dass ist ja das Grundkonzept von Utopia, nicht mehr Energie zu verbrauchen, als die Stadt selbst herstellen kann.

So sind in jedem Hochhaus die unteren Stockwerke für Dienstleistungsbetriebe reserviert, so dass ich für viele Grundbedürfnisse wie. z.B. Zahnarzt, Kindergarten, Friseur oder Wellness-Schwimmbad mein Hochhaus gar nicht mehr verlassen muss.

Sie können sich vorstellen, wie viel Straßenverkehr allein durch die diese Maßnahmen eingespart wird.

So nutzt meine ganze Familie das Rohrpostsystem zum Einkaufen: Online bestellen, bezahlen und wenige Minuten später wird es schon geliefert.

Reporter: Doch was ist mit größeren Dingen, wie z.B. Möbeln oder Fernsehern? Oder auch zerbrechlichen Gegenständen?

Schulte: Nun, für alle Gegenstände, die nicht per Rohrpost transportiert werden können gibt es den Lieferservice per Elektrotransporter.

Reporter: Und wo ist da die Energieersparnis?

Schulte: Nun, der E-Transporter kann mehrere Bestellungen sammeln und somit die Zahl der Fahrten gegenüber individuellen Einzelfahrten reduzieren helfen. Es ist eigentlich ganz angenehm: Ich gehe durch das virtuelle Kaufhaus, entweder auf herkömmliche Weise am Bildschirm oder mittels VR-Headset sogar in 3D und bestelle, was ich brauche. Der E-Transporter liefert mir alles frei Haus, sogar bis in den 32. Stock. Doch selbst wenn ich mir meine Sachen "live" kaufe, also in irgendein Geschäft gehe, z.B. weil ich ein Kleidungsstück erst anprobieren will, lasse ich mir den Einkauf per Rohrpost oder Lieferdienst nach Hause zustellen. Das hat den Vorteil, dass ich ohne Gepäck unterwegs sein kann, also weder auf dem Fahrrad noch in der S-Bahn meine Einkäufe mit mir herumschleppen muss.

Ich kann Ihnen sagen, es macht eine Shopping-Tour viel entspannter, wenn man - sagen wir mal - zwei Stunden einkaufen kann, um dann, völlig unbeschwert von Einkaufstaschen, z.B. gleich anschließend mit den Kindern in den Zoo oder ins Kino zu gehen.

Reporter: Klingt ja ganz nett, Sie kommen also auch manchmal "raus"?

Schulte: Natürlich! Aber in der Regel kaum noch zum Einkaufen oder arbeiten. Dafür mache ich nun oft mit meiner Familie Freizeitausflüge. Utopia ist ja, wie sie wissen, ähnlich einem Schachbrett aufgebaut, d.h. die weißen Felder sind Baugrundstücke für Hochhäuser, die schwarzen Felder für Parks und Erholungsanlagen reserviert. Somit hat man es nie sehr weit ins Grüne.

Reporter: Das Prinzip der kurzen Wege!

Schulte: Exakt! Das Ziel ist, dass jeder nur so weit gehen muss, wie es wirklich nötig ist. Natürlich muss mein Arzt weiterhin zu seiner Praxis gehen und dort seine Patienten empfangen. Aber nicht nur er selbst, sondern auch 98% seiner Patienten leben in diesem Hochhaus, somit ist der Weg so kurz wie nur möglich.

Reporter: Aber es gibt doch auch andere Dienstleistungen, die nicht in jedem Hochhaus untergebracht sein können?

Schulte: Natürlich, z.B. Krankenhäuser und Universitäten sind eigene Hochhäuser in zentraler Lage. Doch auch dahin gelangt man schnell, da der ÖPNV sehr gut ausgebaut ist. Außerdem gibt es noch Leihwagen nach dem "car2go"-Prinzip und andere Fortbewegungsmittel. Außerdem ist Fahrradfahren in Utopia sehr einfach und sicher.

Reporter: Warum?

Schulte: Nun Ihnen ist sicherlich aufgefallen, dass das Erdgeschoss in Utopia eingentlich im 4.Stock liegt. Dass liegt daran, dass alle Kabel, Kanäle, Strassen etc. sowie der gesamte ÖPNV unter eine künstliche Decke verbannt wurden, die im vierten Stock zwischen den Hochhäusern aufgespannt ist. Oberhalb der Decke befinden sich nur Fuß- und Radwege (sowie Notwege für Rettungsdienste und Polizei), unter der Decke - also im Erdgeschoss bis zum 4. Stock - findet der Verkehr statt. Oben sind außerdem Bäume und Parkanlagen, so dass man glaubt sich im Erdgeschoss zu befinden.

Reporter: Klingt ziemlich futuristisch!

Schulte: Eigentlich gar nicht. Es ist nur eine Weiterentwicklung dessen, was man schon vor Jahren in anderen Städten beobachten konnte. Gehen Sie mal nach Hongkong oder Shanghai, dort sind zahlreiche Fußwege schon auf eine höhere Eben angehoben, um den Autos eine freie Fahrt zu gewährleisten.

Im Grunde ist es dasselbe wie der ausgebaute Untergrund in Montreal oder die U-Bahn in anderen Großstädten, nur dass man, anstatt in den Boden zu graben, den Boden einfach ein paar Meter angehoben hat. Sie glauben gar nicht, wie viele Kosten die Stadt durch diese Maßnahme gegenüber einer Untertunnelung gespart hat.

Reporter: Wo wir gerade vom ÖPNV sprechen, da gibt es ja auch eine Besonderheit in Utopia.

Schulte: Ja, wir haben ein so genanntes PRT-System bei uns. Das ermöglicht die individuelle Nutzung einzelner Kabinen, ohne dass man auf den gesamten Zug warten muss. Das Prinzip ist jedoch nicht neu, in Masdar City wurde es erstmalig flächendeckend eingesetzt und das erste PRT überhaupt gibt es an der West Virginia University schon seit 1975.

Sie sehen also, man muss sich nur die guten Konzepte der Vergangenheit ansehen und in ein Gesamtkonzept einbauen.

Jetzt entschuldigen Sie mich aber, ich muss weiterarbeiten.

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